Praktisch

Ethik Praktisch

In der Praxis müssen wertebasierte Entscheidungen getroffen werden, von Teams, als Einzelne, in Kooperation mit Klient*innen oder stellvertretend für sie. Wer in der Praxis vor moralisch herausfordernden Situationen steht, ist mit Fragen der Abwägung, Entscheidung und Begründung konfrontiert. Je nach Situation möchte ein Team über eine bestimmte Fragestellung ethisch reflektieren oder es geht, in einer anderen Situation, darum eine wertebasierte Entscheidung zu treffen. Manchmal sind die Teams monoprofessionell zusammengesetzt, nicht selten allerdings setzen sich die Teams aus Fachpersonen unterschiedlicher Professionen zusammen. Diese Reflexions- und Entscheidungsprozesse können durch unterschiedliche strukturierte Reflexions- und Entscheidungsfindungsmodelle unterstützt werden.
Egal ob es um Reflexion oder um Entscheidungsfindung geht: Ausgangspunkt ist immer das Erkennen der Wertefragen, die sich in einer Praxissituation oder auch in Bezug auf gesellschaftspolitische Fragen stellen. Und immer gilt auch: die eigene Moral genügt nicht, um eine Wertentscheidung im professionellen Kontext zu begründen. Es lassen sich in der Praxis unterschiedliche Formen des Nachdenkens über Moral identifizieren:

Ethische Reflexion

Ethische Reflexion richtet den Blick auf die normativen Orientierungen einer Situation. Also auf die Frage, welche Werte und Normen spielen eigentlich eine Rolle? Um was geht es moralisch gesehen? Auch Teil ethischer Reflexion können moralische Intuitionen sein. Was empfinde ich spontan als richtig? Fragen nach den, in der Situation relevanten professionsmoralischen Werten gehören auch dazu. Im angelsächsischen Raum wird von «ethical reasoning» gesprochen. «Ethical reasoning» dient primär der Erkenntnisgewinnung. Diese Form der ethischen Reflexion betont das prozesshafte, nachdenkliche, abwägende und nicht unbedingt die Entscheidung. Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass auf Grund der Reflexion dann ein Urteil gebildet wird und allenfalls auch eine Handlungsoption erarbeitet wird.

Ethische Urteilsbildung

Die ethische Urteilsbildung geht über das analytische Durchdringen der Situation in Bezug auf die relevanten Werte hinaus. Sie beinhaltet auch, sich ein Urteil zu bilden, also eine Position einzunehmen. Ethische Urteile und damit auch ethische Urteilsbildung kann zu Fragen auf der Mikro- Meso- oder Makroebene stattfinden. Man kann ein Urteil fällen über eine bestimmte gesellschaftliche Situation. Beispielsweise: Ist es gerecht, dass Frauen weltweit durchschnittlich noch immer weniger verdienen als Männer? Man kann sich aber auch ein ethisches Urteil bilden darüber, ob in der konkreten Situation es angemessen ist, die Klientin mit einer Sanktion zu belegen. Je nach Ebene werden andere Fakten und moraltheoretische Begründungen von Bedeutung sein.

Ethische Entscheidungsfindung

Es wird in der Praxis oft von ethischer Entscheidungsfindung gesprochen, wenn es darum geht, in Bezug auf eine konkrete Situation eine wertebasierte Entscheidung zu treffen. Man kann ethische Entscheidungsfindung als auf eine Entscheidung zugespitzten Urteilsbildungsprozess sehen. Ausgangspunkt für ethische Entscheidungsfindungsprozesse sind nicht selten moralische Dilemmata. Also Situationen, in denen einem Wert nicht gefolgt werden kann, ohne den anderen, uns genauso wichtig erscheinende Wert zu verletzen. Aber auch nicht dilemmatische moralischen Fragestellungen können dazu führen, dass man sich fragt, welchen Werten in der konkreten Situation welche Bedeutung zukommt und wie entschieden werden soll. Ethische Entscheidungsfindungsmodelle bieten dazu ein strukturiertes Vorgehen. In der Literatur finden sich unterschiedliche Modelle. Ziel aller Modelle ist es, eine sinnvolle Struktur in die Reflexion zu bringen und zu garantieren, dass keine wichtigen Aspekte übersehen werden.

In der Praxis erarbeiten sich Organisationen oft einen Leitfaden, der ihren spezifischen Fragestellungen und zentralen Werten Rechnung trägt, sie speziell «abfragt». Der Leitfaden hilft, insbesondere auch Teams, eine moralische Entscheidung strukturiert anzugehen. Gleichzeitig ist es wichtig, sich bewusst zu sein, dass Entscheidungen in Teams durch psychologische Effekte mit beeinflusst werden. Sie zu kennen, kann helfen, sie besser zu kontrollieren.

Entscheidungen Begründen

Wurde eine Entscheidung getroffen, gilt es, diese auch gut zu begründen. Zu einer ethischen Begründung gehören immer sowohl die für die Entscheidung relevanten Fakten als auch die Werte, auf Basis derer die Entscheidung gefällt wurden. Diese werden in einer logischen und möglichst stringenten und nachvollziehbaren Argumentation verbunden.
Nicht selten umfassen Entscheidungen im professionellen Alltag auch methodische Umsetzungen. Es geht also darum, einerseits die Werteentscheidung zu begründen, als auch die methodische Umsetzung darzulegen.

Wichtig beim Aufbau einer Argumentation ist es, alle Annahmen auszuweisen und so die Argumentation transparent zu machen.